ADB:Reisach, Karl August Graf von

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Artikel „Reisach, Karl August, Graf von“ von Alois Knöpfler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 114–117, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reisach,_Karl_August_Graf_von&oldid=- (Version vom 6. Mai 2024, 06:51 Uhr UTC)
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Reisach: Karl August, Graf v. R., Cardinal, wurde geboren zu Roth, Bisthum Eichstätt, am 6. Juli 1800 als der letzte seines Geschlechtes, das 1790 mit der Reichsgrafenwürde ausgezeichnet worden. Sein Vater Johann Adam v. R., früher Landrichter in Monheim, Kreis Schwaben, starb 1820, seine Mutter war eine Freiin v. Gumppenberg. Die wissenschaftliche Vorbildung erhielt R. in Neuburg an der Donau, begann mit 16 Jahren das philosophische Studium zu München und bezog dann als studiosus juris die Universitäten Heidelberg, Göttingen und Landshut, woselbst er 1821 zum Doctor beider Rechte promovirt wurde. Dem jungen talentirten Grafen stand auf der juristischen Laufbahn eine glänzende Carrière in Aussicht, da entschloß er sich plötzlich, wohl nicht ohne harte Kämpfe, zum Studium der Theologie überzugehen und trat im [115] Herbst 1824 in das Collegium germanicum zu Rom. Fünf Jahre widmete er sich hier eingehendem Studium der Philosophie und Theologie unter der unmittelbaren Leitung der Jesuiten, die sich in ihm wohl einen der ergebensten, anhänglichsten und dankbarsten Schüler erzogen, wie er selbst bezeugt in seiner Festrede auf den sel. Canisius, die er 1865 in der Jesuitenkirche zu Rom gehalten. Am 10. August 1828 erhielt er die Priesterweihe und wurde schon im folgenden Jahre bei seinem Austritt aus dem Germanicum von Pius VIII. zum Studienrector des Collegiums der Propaganda ernannt. Es war dies ein ganz besonderer Beweis des Vertrauens in die Tüchtigkeit des jungen Priester. Erfordert die Erziehung der Cleriker überhaupt große pädagogische Reife, so ist zur Leitung einer die Welt umspannenden Missionsanstalt ganz besonders großer Scharfblick, unerschöpfliche Geduld, wie unermüdete Wachsamkeit nothwendig. Als Studienrector der Propaganda stand R. unter der unmittelbaren Aufsicht des Cardinals Capellari, der am 2. Februar als Gregor XVI. den päpstlichen Stuhl bestieg, ein Verhältniß, das ihn auch später in nahe Beziehungen zur Curie brachte, namentlich in den Angelegenheiten der deutschen Kirche. Gerade diesen widmete er neben den vielen Arbeiten an der Propaganda seine fortwährende Aufmerksamkeit, was seine Schrift bezeugt, die er unter dem Pseudonym „Athanasius Philalethes“ 1835 erscheinen ließ, worin er die unkirchlichen Grundsätze über gemischte Ehen, gefährliche Doctrinen und Lockerung der clericalen Disciplin bekämpfte, wie sie damals die Schweiz und Deutschland beunruhigten.

Bei seiner öfteren Anwesenheit in Rom hatte König Ludwig I. von Baiern den Rector der Propaganda kennen gelernt und den Plan gefaßt, ihn für einen bairischen Bischofsitz zu gewinnen. Als nun Januar 1835 das Bisthum Eichstätt erledigt wurde, erging an R. die Anfrage, ob er nicht den Hirtenstab des h. Willibald annehmen würde. Unter Zustimmung des Papstes lehnte er die Würde ab, als aber einer abermaligen Vacatur desselben Stuhles im folgenden Jahre der Antrag erneuert wurde, sagte er zu und wurde am 11. Juli 1836 vom Papste selbst in Maria maggiore zum Bischof consecrirt. Als Bischof von Eichstätt war es sein Erstes, für einen tüchtigen Clerus zu sorgen. Er erließ eine instructio de vita et honestate clericorum, die er als Diöcesangesetz publicirte und benützte vor allem seine Visitationsreisen, um den Geistlichen ihre Pflichten und Aufgaben eindringlich ans Herz zu legen. Besonders wichtig war auch die Frage betreffs der Heranbildung junger Cleriker; zu diesem Zweck errichtete er sofort im J. 1837 ein Knabenseminar und bildete das Clericalseminar zu einer vollständigen theologischen Lehranstalt um, wozu König Ludwig am 30. September 1837 seine Genehmigung ertheilte. Zur Beschaffung der nöthigen Mittel für die Unterhaltung der betreffenden Anstalten rief der Bischof den Willibaldusverein ins Leben. 1843 erhielt dann das bischöfliche Lyceum die landesherrliche Bestätigung als „kirchliche“ und „öffentliche“ Lehranstalt.

Unterdessen waren die unglücklichen Kölner Wirren wegen des Hermesianismus und der gemischten Ehen durch Verhaftung des Erzbischofs Clemens August am 20. November 1837 zu vollem Ausbruch gekommen. Gleich nach seinem Regierungsantritt am 7. Juni 1840 suchte aber Friedrich Wilhelm IV. eine friedliche Verständigung anzubahnen und wandte sich dieserhalb an König Ludwig von Baiern, dessen Vertrauensmann der Bischof von Eichstätt war. Da letzterer mit Rom ohnedies in fortwährendem Verkehr wegen besagter Streitpunkte gestanden, wurde er beiderseits mit dem Mittleramt betraut. Er führte auch die Verhandlungen zu so raschem und befriedigendem Abschluß, daß der Papst schon am 21. September 1841 unter Zustimmung des Erzbischofs Clemens August den Bischof Geissel von Speyer zum Coadjutor von Köln cum spe succedendi bestellen konnte. Dieser Ausgang der Sache bestimmte wol König Ludwig, in ähnlicher [116] Weise auch R. für München-Freising zu erhalten und wirklich wurde derselbe mit Zustimmung des Erzbischofs v. Gebsattel am 12. Juli 1841 zum Coadjutor von München cum spe succedendi bestellt. Nachdem Erzbischof Gebsattel am 1. October 1846 gestorben, nahm R. am 25. Januar 1847 feierlich Besitz vom Stuhl des heil. Corbinian. Wie in Eichstätt ging auch in München sein Hauptbestreben dahin, die Kirche von den einschränkenden staatlichen Bestimmungen möglichst zu befreien und er konnte wol hoffen, mit Hülfe seines trefflichen Generalvicars Windischmann und der ihm geschenkten königl. Huld manches erreichen zu können. Allein gerade letztere ging ihm in Bälde verloren durch die unglückliche Lola-Montez-Affaire. Als der Erzbischof es wagte, sich mahnend dem Throne zu nahen, fiel er ebenso in Ungnade, wie andere hervorragende Männer. Auch der Thronwechsel 1848 scheint ihm die Hofgunst nicht wieder gebracht zu haben, wiewol König Max II. die loyale Pflichtreue des Clerus in den Stürmen des Jahres 1848 lobend anerkannte. Vor allem mag wol sein energisches Eintreten für Anbahnung einer freieren Stellung der deutschen und speciell der bairischen Kirche unlieb vermerkt worden sein. Als es sich nämlich infolge der Revolutionsstürme um eine freiere Gestaltung der deutschen Zustände handelte, dachte man auch kirchlicherseits daran, den Bann des staatlichen Bureaukratismus zu brechen. Durch Reisach’s Bemühen in erster Linie kam die deutsche Bischofsconferenz zustande, die vom 21. October bis 26. November 1848 in Würzburg tagte und in einer freimüthigen Denkschrift für die katholische Kirche Deutschlands größere Freiheit reclamirte. Ebenso bahnte R. im folgenden Jahre eine Conferenz der bairischen Bischöfe an, die im October 1850 zu Freising tagte und in einer Denkschrift von der Krone genaue Durchführung des Concordats erbat. Da die Gewährung nicht in gewünschtem Maße erfolgte, erneuerte der Episcopat seine Gesuche am 28. April 1852 und 15. Mai 1853 und Erzbischof R. reichte am 16. August 1853 und am 12. März 1855 noch gesonderte Vorstellungen ein. Die hiedurch erzeugte Verstimmung wurde noch gesteigert, als der Erzbischof beim Tode der protestantischen Königin Therese 1854 sich weigerte, die Trauerfeierlichkeit wie bei katholischen Fürsten abzuhalten. Infolge eines speciellen Gesuchs von König Max II. ernannte der Papst R. zum Cardinal und dieser verließ München im December 1855 und siedelte nach Rom über.

Als Kenner deutscher Verhältnisse wurde R. vom Papst sofort mit der Führung der Verhandlungen betraut, die gerade damals mit Baden und Württemberg im Gange waren und endlich am 8. April 1857 zum Abschluß der württembergischen, und am 8. Juni 1859 zu dem der badischen Convention führten, die aber beide von den betreffenden Kammern verworfen wurden. Außerdem wurde R. zu verschiedenen anderen Arbeiten herangezogen; gleich mit Beginn des Jahres 1856 wurde er zum Mitglied mehrerer Congregationen ernannt, so für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, für Prüfung der Bischöfe, für den Index und die Studien. 1862 ernannte ihn der Papst zum Präfecten der Congregation für Correctur der liturgischen Bücher und Herausgabe der Canons der orientalischen Kirchen; bald darauf wurde er auch in die Congregationen des heil. Officiums, der Riten und der Propaganda gezogen und zum Unterrichtsminister des verkleinerten Kirchenstaates ernannt. Schon diese vielseitige Verwendung zeigt, welch großes Vertrauen Cardinal R. bei Pius IX. genoß, ja dasselbe darf wol ein unbegrenztes genannt werden mit Rücksicht auf die wichtige Stelle, die ihm der Papst für das beabsichtigte allgemeine Concil im Vatican zugedacht hatte. Schon 1865 bei den ersten Vorbereitungen für ein allgemeines Concil wurde R. mit sieben anderen Cardinälen in die sogen. dirigirende Commission berufen, die unter persönlicher Leitung des Papstes die wichtigsten Fragen für das kommende Concil berathen und darüber [117] beschließen sollte; so vor allem über die Geschäftsordnung auf dem Concil. Bei der Wichtigkeit der letztern für die zu fassenden Beschlüsse, darf die Berufung in diese Commission als ein Act ganz besonderen Vertrauens angesehen werden. Einer anderen Congregation, mit nicht weniger wichtigen und weittragenden Fragen, den kirchlich-politischen nämlich, betraut, wurde R. als Präsident vorgesetzt. Die letzte Auszeichnung des Papstes, der ihn unterm 27. November 1869 zum ersten Präsidenten der Concilscongregationen ernannt hatte, konnte nur mehr seinen Sarg schmücken. Er starb am 16. December 1869 in dem Redemptoristenkloster zu Contamine in Savoyen, wo er für sein hartnäckiges Magen- und Herzleiden Linderung gesucht hatte. Von eigentlich schriftstellerischer Thätigkeit konnte bei der vielseitigen Beschäftigung des Prälaten nicht wol die Rede sein, doch übersetzte er unter Mitwirkung des Jesuiten P. Curci Kleutgen’s Werk: „Die Philosophie der Vorzeit“ ins Italienische. Die römischen Concilsbriefe von Quirinus schreiben über R. S. 93: „Der Tod des Cardinals R. wird hier als ein unersetzlicher Verlust empfunden, vor allem vom Papst selbst, dessen Vertrauen der Verewigte mehr als irgend ein anderer Cardinal besaß. An den Propositionen, die dem Concil zur Sanction vorgelegt worden, hat er den größten Antheil und gewiß hätte er, falls es ihm vergönnt gewesen, auf dem Concil noch seinen Einfluß geltend zu machen, die Projecte der neuen Dogmen mächtig gefördert. R. galt hier für einen Mann von umfassender Gelehrsamkeit und weittragendem Blick. Sein freundliches und gefälliges Wesen pflegten die Fremden zu rühmen“.

Katholik 1870 I, S. 129. – Wilhelm Molitor, Cardinal Reisach, in: „Deutschlands Episcopat in Lebensbildern“, Bd. II, 4. Hft. 1874.