ADB:Rörer, Georg

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Artikel „Rörer, Georg“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 480–485, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%B6rer,_Georg&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 08:21 Uhr UTC)
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Rörer: Georg R. (Rorer, Rorarius, Rorerius u. s. f.), evangelischer Theologe, Luther’s langjähriger Freund und Gehülfe, geboren am 1. October 1492 zu Deggendorf in Niederbaiern, † am 24. April 1557 zu Jena. Seit dem Sommerhalbjahr 1511 besuchte er die Hochschule zu Leipzig, wo er am 4. September 1515 zum Baccalaureus, am 22. December 1520 zum Magister der freien Künste befördert wurde. Zwei Jahre darauf begab er sich nach Wittenberg, wo er am 12. April in die Matrikel eingetragen wurde. Bis an sein Ende ist er ein treuer Sohn Wittenbergs, Freund und Helfer Luther’s gewesen, der an ihm am 14. Mai 1525, als er zum Diakonus in Wittenberg berufen war, zum ersten Mal die Investitur oder Einführung ins Amt im neuen evangelischen Sinn und Geiste vollzog. Bis 1529 der zweite der damaligen Diakonen, hatte er ein arbeitsreiches Amt zu versehen. Erst damals wurde ein dritter Diakon bestellt. Als treuer Bekenner des Evangeliums, auch durch schwere Heimsuchungen geprüft, war er ein erwecklicher, gefeierter Prediger und hielt fest an seinem Wittenberger Amte, wobei freilich auch sein inniger Wunsch mitbestimmend war, nicht von der Seite Luther’s wegversetzt zu werden. Um seinetwillen mochte er sich überhaupt nur sehr ungern von Wittenberg weg begeben und that das nur auf kürzere Frist wegen dringend nöthiger Erholung im April 1528, wo er seine Freunde in Zwickau sowie im Frühjahre des nächsten Jahres, wo er die in Nürnberg besuchte. Sonst sehen wir ihn auswärts nur noch, wenn er mit oder statt Luther’s in kirchlichen Angelegenheiten thätig war, einmal bei dem Religionsgespräch in Marburg und im Jahre darauf, 1530, als Vertreter Luther’s bei der Kirchenvisitation der Kreise Eilenburg, Bitterfeld und Belzig. Einem verwandten Zwecke wie der Theilnahme am Marburger Religionsgespräch diente Rörer’s Anwesenheit in Luther’s Wohnung bei der Wittenberger Concordie am 22. Mai 1536. In den Jahren 1538 und 1539 nahm er dann an Luther’s Statt wiederholt Ordinationen auswärtiger Geistlichen vor. Nach 1537 versah R., wenn er auch den Charakter eines Geistlichen behielt, sein Diakonatsamt, das damals an A. Lautenbach überging, nicht mehr, überhaupt kein Amt im engeren Sinne. Zwar heißt es, daß er im J. 1533 Bibliothekar der Wittenberger Universitätsbibliothek gewesen sei; da uns aber gerade 1537 ein Meister Lucas als der Librey zu Wittenberg Vorsteher genannt wird, so hatte er jedenfalls damals diese Stellung nicht mehr inne. Wenn aber damals auf Spalatin’s Anregung Namens des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen eine neue Bestallung für R. ausgefertigt wurde, so war das eine ganz außerordentliche. Sie nahm ihn für die Thätigkeit in Dienst, in deren treuer Erfüllung sein eigentlicher Beruf und geschichtliche Bedeutung beschlossen liegt. Es ist das sein erstaunlich umfassender Hülfsdienst, den er der Reformation, allermeist dem Werke Luthers leistete. R. hat diese Arbeit – gewiß mit gutem Grunde – auch als Kirchendienst angesehen und sie auch im J. 1547 dem bisherigen Kurfürsten Johann Friedrich gegenüber so bezeichnet. Dieses Lebenswerk Rörer’s war durchaus in der Liebe zu Luther, seinem „ehrwürdigen Vater“, begründet: wenn dieser krankte, litt er mit; wenn er nebst seinen Mitarbeitern wohl und zur Stelle war, freute er sich herzlich. Diese Liebe zur Person hatte aber wieder ihren Grund, war durchaus in der Liebe zu seinem Werke, zur Reformation, deren treuer überzeugter Bekenner er war. Seine Liebe zu dem Meister wurde von diesem voll und ganz erwidert. Er hat ihn, seinen häufigsten, fast täglichen Gast, als einen treuen, frommen Mann und tüchtigen Geistlichen anerkannt; er hat ihm auch einen großen Einfluß auf sich eingeräumt. In humorvoller Weise hat er ihn mündlich und schriftlich als seinen Moses, seinen Befehlshaber, seinen Aeacus bezeichnet und wohl mit Bugenhagen, Creuziger und seiner Käthe zusammengestellt; [481] Beispiele von diesem Einflusse, der auf innerer Achtung beruhte, lassen sich genug beibringen. Dieses gegenseitige nie getrübte Verhältniß ist für die Beurtheilung beider Persönlichkeiten gleich merkwürdig und ehrenvoll. R. hat seinen verehrten geistigen Vater gelegentlich zu einer bestimmten Thätigkeit, Collegien, öffentlicher Predigt angeregt und auf herzliches Ansuchen seines R. schrieb Luther eine Erklärung vom 12. Capitel des Propheten Daniel.

Von den Verdiensten Rörer’s um Luther und die Reformation ist entschieden das größte das, was er sich in der Festlegung und Erhaltung von Luther’s Wort bei seinen akademischen Vorträgen sowohl als bei seinen öffentlichen und häuslichen Predigten erwarb. Seine Leistung hierin ist eine wahrhaft erstaunliche. Es haben Manche Luther’s Predigten und Vorlesungen nachgeschrieben, aber Keiner ist mit ihm an Fülle und Gestalt des Geleisteten zu vergleichen. Luther hat selbst gelegentlich von den Leistungen Veit Dieterich’s, der auch ein fleißiger Nachschreiber war, gesagt, sie seien dürr und mager, R. habe mehr. Bei anderen, wie bei einem Creuziger, erscheinen die wiedergegebenen Vorträge Luther’s mehr oder weniger als freie Bearbeitungen. R. aber verstand es, die Vorträge, wie sie gehalten waren, vollständig wiederzugeben. Dabei kam ihm das feine Verständniß von Luther’s Geist und Sprache zustatten. Ganz besonders war es seine Meisterschaft im Schnellschreiben und in der Verwendung von Abkürzungen. Da nämlich die heute in den Parlamenten und sonst zur Anwendung kommende Kurzschrift noch nicht erfunden war, so mußte man sich mit einfacheren Abkürzungen und Siglen behelfen. R. war in deren Verwendung überaus geschickt, und die Liebe zur Sache machte ihn auch erfinderisch; daher er auch denen, die seine Nachschriften benutzen wollten, Anleitung zum Verständniß seiner Schrift gab. Um der Kürze sowie um der größeren Zahl überkommener Siglen willen bediente sich R. auch bei deutschen Vorträgen vielfach lateinischer Abkürzungen für gleich bei der Predigt lateinisch aufgefaßte oder niedergeschriebene Wendungen, sodaß man, um eine deutsche Predigt Luther’s vollständig wiederzugeben, nicht durch einfache Auflösung der Abkürzungen lateinische Worte zwischen den deutschen in den Text setzen darf, sondern – wozu natürlich viel Kenntniß und Uebung gehört – die lateinischen Worte und Wendungen deutsch wiedergeben muß. R. hat nun von 1523 an bis zu Luther’s Tode, gelegentlich auch als sein Begleiter auf einer Reise, die Luther’schen Predigten und Vorträge nachgeschrieben. Auch von seinen Tischreden hat er ein gut Theil aufgefangen. Dabei war er so eifrig und schien die Sache ihm so wichtig, daß er es über sich gewann, nachdem zur Pestzeit seine geliebte erste Gattin gestorben war, gleich Tags darauf einem Luther’schen Lehrvortrage zu lauschen und ihn nachzuschreiben. Zu bewundern ist es, wie er es möglich machte, selbst an den Sonntagen, wo er als Diakonus selbst zu predigen hatte, Luther’s Kirchen- und Hauspredigten beizuwohnen und sie aufzufangen.

Da man nun von einsichtiger Seite die große Wichtigkeit der Rörer’schen Arbeitsleistung erkannte, so geschah es, daß im J. 1537 auf Spalatin’s Anregung Kurfürst Johann Friedrich sich entschloß, dem Diakonus die Arbeit seines Kirchenamtes abzunehmen und ihm gegen den nöthigen Lebensunterhalt den bisher freiwillig geleisteten Hülfsdienst an dem Werke Luther’s als amtliche Aufgabe zu übertragen. Dabei wurde gleich beabsichtigt, das bisher gesammelte Material, sowie das noch weiter hinzukommende von R. zu erwerben und der Wittenberger Universitätsbibliothek einzuverleiben. Hierbei ergab sich nun aber eine große Schwierigkeit: Da man die unveränderten Rörer’schen Niederschriften wegen ihrer überaus zahlreichen und theilweise kaum deutbaren [482] Abkürzungen nicht glaubte in die Bibliothek aufnehmen zu können, so dachte man daran, zwei oder mehr Schreiber anzunehmen und diesen durch R. selbst seine Niederschriften vorlesen und in die Feder dictiren zu lassen. Das war aber nicht durchführbar, da R. erklärte, dafür nicht die Zeit zu haben. Wohl wollte er den Abschreibern Anleitung geben und Rath ertheilen; aber wenn er ihnen die ganzen Niederschriften zum unmittelbaren Nachschreiben vorgelesen hätte, so wäre es ihm unmöglich gewesen, weiterhin den Vorlesungen und Predigten Luther’s beizuwohnen und sie durch seine Kunst der Schnellschrift zu erhalten, womit man dem Zwecke, zu dem man R. in Bestallung genommen hatte, zuwider gehandelt hätte. Da nun aber, wie Andr. Poach sagte, der selbst mit Rörer’s Anleitung dessen Nachschriften benutzte, die Abschreiber „einen Abscheu hatten“ – davor zurückschreckten –, die Rörer’schen Vorlagen umzuschreiben, so blieb der ganze Plan unausgeführt. Dagegen hat R., um Freunden und der Sache zu dienen, verschiedenen, die ihn darum baten, manche seiner Aufzeichnungen mitgetheilt und ihnen bei deren Veröffentlichung geholfen.

War diese einen guten Theil von Luther’s Geistesarbeit erhaltende Thätigkeit des Auffangens und Sammelns von seinem Wort und Vortrage Rörer’s wichtigste Leistung, so erforderte doch kaum eine geringere Anstrengung und Mühe seine Hülfe bei der Correctur und Redaction von Luther’s Schriften. Ohne auf das Nähere bei dieser Art Thätigkeit einzugehen, weisen wir darauf hin, daß R., als er im Frühjahre 1528 körperlich und seelisch abgemattet und an Schlaflosigkeit leidend, dringend einer Ausspannung bedurfte, die ihm verordnete Reise einen Monat verschob, um erst abzuwarten, bis Luther die letzte Hand an den Timotheusbrief gelegt hatte. Die Redactions- und Correcturarbeit war sehr zeitraubend und anstrengend. R. erwähnt gelegentlich, wie er drei Pressen zu bedienen habe. Luther sagte einmal zu Linck, „Rörer sei mit Geschäften überhäuft und Knecht der Knechte in der Druckerei“.

Unter diesen Bemühungen um einen reinen, sorgfältigen Druck ist billig der Correctur von Luther’s verdeutschter Bibel besonders zu gedenken. R. selbst hat gelegentlich im J. 1547 diese Thätigkeit dem Kurfürsten Johann Friedrich gegenüber ausdrücklich hervorgehoben. An dem Fortschritt beim Druck neu durchgesehener Ausgaben einzelner Schriften und ganzer neuer Bibelausgaben hat R. seine besondere Freude gehabt, und Luther hat sich mit ihm zuweilen über den Sinn einzelner Stellen unterhalten. Hauptsächlich handelte es sich bei Rörer’s Arbeit aber doch nur um die Redaction, die Ueberschriften, Inhaltsangaben der Capitel und vor allem um die Herstellung eines von Druckfehlern thunlichst gereinigten Druckes. Als Luther im J. 1539 daran ging, mit Hülfe seiner dazu am meisten geeigneten Mitarbeiter eine allgemeine Durchsicht der ganzen deutschen Bibelübersetzung vorzunehmen, da versah R. in dem hierzu gebildeten Synedrion, das sich in dem Jahre 1540–41 wöchentlich einige Stunden in seiner Wohnung versammelte, die Aufgabe des Schnellschreibers und führte ein ordentliches Protocoll über die vereinbarten Aenderungen, das auch noch in seinem Nachlaß erhalten ist.

Da R. an der Quelle saß, von der die wichtigsten Reformationsschriften ausgingen und mit Luther, auch Melanchthon, Bugenhagen in innigem Verkehr stand, so hat er über Entstehung, Plan und Fortschritt mancher Arbeiten in seinem Briefwechsel, besonders mit St. Roth in Zwickau, allerlei wichtige Nachrichten gegeben, z. B. über die Entstehung der Luther’schen Katechismen. Beim Ausarbeiten des großen Katechismus hat sogar der Reformator selbst von den Rörer’schen Nachschriften seiner Katechismuspredigten Gebrauch gemacht.

[483] Eine schwere Zeit war für R. die des schmalkaldischen Krieges. Es war nicht nur der Schmerz über das schwere Geschick seines fürstlichen Herrn, des Kurfürsten Johann Friedrich, dem er bis an sein Ende treue Anhänglichkeit bewahrte, was ihn niederdrückte, sondern auch der Kummer über die Störung und Verkümmerung des Reformationswerkes und des ihm und Creuziger übertragenen Unternehmens, das seine Thätigkeit damals ganz besonders in Anspruch nahm, nämlich der Gesammtausgabe von Luther’s Werken. Im J. 1539 war der erste Band der deutschen, 1545 der erste der lateinischen Schriften erschienen; aber nach der Niederlage der Reformationsverwandten drohte das Werk wegen unzulänglicher Unterstützung ins Stocken zu gerathen. Bis zum Frühjahre 1551 setzte er seine Arbeit fort, deren Last, seit Creuziger am 16. Mai 1548 gestorben war, umsomehr auf ihm ruhte. Da entschloß er sich, den treuen Förderer der Reformation in Skandinavien, König Christian III. von Dänemark, um Hülfe für die Fortsetzung der Luther-Ausgabe und um Unterkunft für sich selbst anzugehen. Da seine Bitte gewährt wurde, so schickte er sich Ende März 1551 zur Ueberfahrt nach Dänemark an, nachdem er bereits zwei Fässer mit dem erforderlichen litterarischen Apparat vorausgeschickt hatte. Seinem Schwager Bugenhagen, der hierbei gute Dienste hätte leisten können, verheimlichte er diesen Plan, weil er mit Recht annahm, daß dieser ihm aus Sorge für seine Person, mehr aber wegen des Schicksals seiner unersetzlichen litterarischen Schätze jenen Gedanken auszureden versucht haben würde. Da Bugenhagen aber mit der Sache an sich durchaus einverstanden war, so gab dieser ihm am 26. März d. J. die treuesten Empfehlungen an den Dänenkönig, dem er Rörer’s Sache aufs Dringendste empfahl, mit auf den Weg. Der Aufenthalt in Dänemark war für Rörer’s Gesundheit nicht zuträglich; auch sehnte er sich nach Deutschland zurück. Dieser Wunsch wurde erfüllt, indem sein alter Herr Herzog Johann Friedrich ihn am 10. Juni 1553 wieder mit dem Sitz in Jena in seine Dienste berief. Dort befand er sich anfangs September desselben Jahres. Man hat bei der Berufung die Angabe des Amtes oder Zwecks vermißt und angenommen, er sei als Universitätsbibliothekar nach Jena berufen, beides ohne Grund. Denn was den Zweck und die Aufgabe betrifft, zu deren Erfüllung R. berufen wurde, so konnte hierüber kein Zweifel obwalten: es handelte sich um die Fortsetzung des Werkes, das ihm schon im J. 1537 von demselben Herrn aufgetragen war und das sich zunächst auf die Fortsetzung bezw. neue Aufnahme der Ausgabe von Luther’s Werken bezog. Daß R. zum Universitätsbibliothekar bestellt worden sei, gründet sich auf eine irrthümliche Folgerung aus einer Eintragung vom Jahre 1555 in die Jenaer Universitätsmatrikel, die zwar den Mag. Rörer aufführt, doch ohne Amtsbezeichnung, während darin der Franke Both ausdrücklich als Jenenser Bibliothekar genannt ist. Für den Plan der neuen Luther-Ausgabe wurden am 8. September 1553 von Herzog Johann Friedrich dem Aelteren und am 8. Mai des nächsten Jahres von dessen Söhnen genaue, sorgfältige Bestimmungen erlassen. Es wurde R. jetzt auch ein Corrector als Gehülfe zur Seite gegeben. Amsdorf und Goldschmidt (Aurifaber) unterstützten ihn mit ihrem Rathe. R. förderte seine Arbeit so fleißig, daß in den Jahren 1555 und 1556 je zwei, zusammen also vier Bände, der Jenaer Folioausgabe bei Christian Rödinger im Druck erschienen. Durch die Schrift eines gewissen früheren Correcturgehülfen Walther, den R. wegen seiner Unsorgfältigkeit hatte zurechtweisen müssen und der sich an ihm rächen wollte, wurden an Rörer’s Arbeit verschiedene Ausstellungen gemacht und er der Auslassung eines scharfen längeren Ausfalls gegen Butzer wegen dessen Verfahren im Abendmahlsstreit [484] bezichtigt. Hinsichtlich jener Auslassung hat R. vor Notar und Zeugen seine Unschuld versichert und auf die Urheber dieser Fälschung hingewiesen. Neuere Untersuchungen haben es mindestens als sehr wahrscheinlich erwiesen, daß die zunächst Bedenken erregende Angabe der Wittenberger, jene Auslassung sei noch mit Luther’s Einwilligung geschehen, auf Wahrheit beruhe. Butzer hatte sich mit Luther einverstanden erklärt. Daß er gewisse formale Aenderungen oder Milderungen des Ausdrucks vorgenommen habe, leugnet R. nicht, Versichert nur, daß er nichts nöthiges von Luther’s Schriften ausgelassen habe. Wenn er in Luther’s Schrift: „Freiheit des Sermons Bebstlichen Ablas und Gnad belangend v. J. 1518“ statt des ursprünglichen „das die glose hat der teufel herreyngefurt“ mildernd drucken ließ: „denn kein gut Geist diese Glose hergefurt“ (Jenaer Ausg. Bd. I, 1555, Bl. 6 u. 7. Zeile von unten), so glaubte er das jedenfalls im Sinne Luther’s, auf den er ja einen großen Einfluß ausübte, thun zu dürfen. Besonders merkwürdig ist es, daß R. als treuer Schüler von Leipzig in Luther’s Schrift gegen König Heinrich VIII. von England alle anzüglichen Beziehungen auf die Lipsienses ausgemerzt hat. (Bd. II der Wittenb. Folioausgabe.) Bei der Jenenser Ausgabe wurden ihm alle sachlichen Aenderungen streng verwiesen, und mit Recht; denn was der lebende Luther gut geheißen hatte, war als dessen geistiges Eigenthum anzusehen, während nach dessen Tode die kritische Pflicht es forderte, das hinterlassene geistige Erbe des Reformators – von offenbaren Versehen abgesehen – unverändert zu lassen. Trotz einzelner Ausstellungen muß Rörer’s Leistung an den vier bis Ende 1556 erschienenen deutschen Foliobänden als eine große verdienstliche Arbeit anerkannt werden. Er hat auch in seinem Briefwechsel mit Roth in Zwickau wichtige Nachrichten über die geistige Thätigkeit Luther’s und die Geschichte einzelner seiner Arbeiten, z. B. seiner Katechismen erhalten, viel zur Verbreitung reformatorischer Schriften beigetragen, auch mancherlei Belehrung über Drucker und das Bücherwesen der Reformationszeit dargeboten. Von besonderer Wichtigkeit aber war es, daß bald nachdem er die Augen im Tode geschlossen, die Herzöge von Sachsen seinen reichen litterarischen Nachlaß im Mai 1552 von den Erben erkauften und der Universitätsbibliothek in Jena einverleibten. Hier lag er nun wohl geborgen und wurde wohl auch noch hie und da benutzt, gerieth aber im 18. Jahrhundert ganz in Vergessenheit. Daß dabei eine ganz veränderte Richtung in der Theologie und den Zeitströmungen in Betracht kam, wird kaum zu leugnen sein. Ohne Zweifel ist aber auch die schwere Lesbarkeit seiner durch alle möglichen Zeichen gekürzten Niederschriften von Einfluß gewesen. Als nun aber bei seinen eifrigen Studien für die neue weimarische Ausgabe von Luther’s Werken G. Buchwald die an Reformationslitteratur besonders reiche Zwickauer Rathsschulbibliothek benutzte, fand er hier nicht nur ein vollständiges Verzeichniß der Rörer’schen Handschriften, sondern in einem Schreiben des Pastors Andreas Poach zu Erfurt vom Februar 1564 eine bestimmte Hinweisung auf die Jenenser Bibliothek als Aufbewahrungsort derselben. Dadurch wurde er im J. 1893 der Wiederentdecker des Schatzes, der seitdem das lebhafteste Interesse der Lutherforscher gefunden hat. Es zeigte sich, daß diese Sammlung aus 33 Bänden, davon 11 in Octav, die anderen in Folio bestand. Hie und da ergaben sich Verluste infolge von Verleihen und Benutzung; die Jahrgänge 1537 und 1540 der Predigten fehlten ganz, auch ein Theil der aufgezeichneten Tischreden. Dagegen fanden sich dabei auch Originalhandschriften von Luther und Bugenhagen. Nach dem Zeugniß des letzteren vom 26. März 1551 waren auch wichtige Handschriften von Rörer’s langjährigem, drei Jahre vorher verstorbenen Freunde Creuziger in dessen Besitz übergegangen. Eine Menge [485] von Material, zumal an Predigt- und Lehrvorträgen, wird erst jetzt durch die weimarische Ausgabe von Luther’s Werken zur Veröffentlichung gelangen. Von eigenen Arbeiten Rörer’s wissen wir nur wenig, so von einer Schrift: „Vieler schöner Sprüche Auslegung, Wittenberg 1548“, worin auch Verse Luther’s aufgenommen sind.

Von seinen häuslichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen ist zu erwähnen, daß er noch im J. 1525, bald nachdem er Diakonus geworden war, einen eigenen Hausstand gründete und Johanna (Hannika) Bugenhagen, die Schwester des Wittenberger Pfarrers, als Frau heimführte. Sie schenkte ihm am 27. Januar 1527 sein erstes Söhnchen Paul, starb aber schon am 2. November dieses Jahres an der Pest. Da sein Knäblein höchst schwächlich und hülflos war, so fühlte er sich schon vor Ablauf der Trauerzeit am 28. Mai 1528 gedrungen, dem Kinde in seiner zweiten Gattin Magdalena, die früher Klosterjungfrau gewesen war, sich aber in ihren Frauenberuf sehr gut schickte, eine zweite Mutter zu geben. Während das Kind erster Ehe schon im siebenten Lebensjahre als Student in die Wittenberger Matrikel eingetragen wurde, schenkte auch Magdalena ihrem Gatten Kinder. Am 9. Mai 1529 wurde ein zweiter Sohn Johannes (d. T.) geboren. Ein weiterer Sohn Stephan, der zu Ostern 1547 die Wittenberger Hochschule besuchte, wird das Kind sein, dessen Geburt im Juli 1532 nahe bevorstand. Dieser Stephan erscheint auch unmittelbar hinter seinem Vater 1555 in der Jenaer Matrikel. Nicht lange vor seinem im April 1557 erfolgten Ableben erwähnt R. noch seine Frau und Kinder. Die Wittwe lebte noch 1559. Seine Einnahmen als Diakonus betrugen jährlich 70 Gulden. Seit 1537, wo er mit seinem Amtsbruder Mantel aus der ursprünglichen Diakonatswohnung in ein Haus in der Priestergasse zog, wird sein Gehalt kaum ein viel höheres gewesen sein. R. war kein großer, kein schöpferischer Geist; er hat aber für die Sache Luther’s und der Reformation, der er mit unablässiger Hingebung seine ganze Kraft widmete, dienend so Großes geleistet, wie zu seiner Zeit kaum ein Zweiter. Wegen seines frommen, freundlichen und gefälligen Wesens genoß er allgemeine Liebe und Achtung. Ein achtungswerther Zeitgenosse sagt, sein Name sei in aller Welt bekannt gewesen. Obwohl seine Gestalt auf neueren geschichtlichen Gemälden wie dem von Gey: „Luther die Bibel übersetzend“ und dem von Teich: „Kaiser Karl V. an Luther’s Grabe“ zu sehen ist, haben wir nirgends ein gemaltes oder gestochenes Originalbild von ihm ermitteln können.

Von dem recht mannichfachen Material für die Rörer-Biographie führen wir hier nur an die bisher beste Skizze von Nik. Müller, Die Kirchen- und Schulvisitationen im Kreise Belzig, Berlin 1904, S. 16–18. – Köstlin-Kawerau, Martin Luther, 5. Aufl., 2 Bde. 1903, – sämmtliche Veröffentlichungen G. Buchwald’s zur Reformations- und Lutherlitteratur aus den Quellen der Rathsschulbibliothek in Zwickau; einen Auszug aus der handschriftlichen „Histor. ecclesiastica D. Cyprian’s in den Unschuld. Nachrichten 1726, S. 735–766. – J. Haußleiter, Die geschichtliche Grundlage der letzten Unterredung Luther’s und Melanchthon’s, in der Neuen Kirchl. Zeitschrift Bd. IX (1898), S. 831–854; Bd. X (1899), S. 455 bis 466. – Bugenhagen’s Briefwechsel in den Baltischen Studien vom Jahre 1888. – Koffmann Bd. I, Liegnitz 1907, Freitag v. Reichert. Die handschriftl. Ueberlieferung von Werken Dr. Martin Luther’s. – Die verschiedenen Luther-Briefwechsel, besonders auch die verschiedenen Ausgaben der Tischreden Luther’s von Förstemann-Bindseil, Kroker, Preger, Wrampelmeyer u. s. f.