ADB:Neander, Joachim (Dichter geistlicher Lieder)

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Artikel „Neander, Joachim“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 327–330, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neander,_Joachim_(Dichter_geistlicher_Lieder)&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 16:08 Uhr UTC)
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Neander: Joachim N., der bekannte reformirte Dichter geistlicher Lieder, wurde zu Bremen im J. 1650 geboren und starb ebenda im J. 1680, nur 30 Jahre alt. Als sein Geburtsjahr wurden früher auch die Jahre 1610 und 1640 genannt; nach neueren Untersuchungen darf das Jahr 1650 als feststehend angesehen werden. Er war der erste Sohn aus der zweiten Ehe seines Vaters Johann Joachim N. (geb. 1614, † 1666). Außer seinem Vater, der seit dem Jahre 1636 Lehrer am Pädagogium in Bremen war, waren seine direkten Vorfahren bis in die Tage der Reformation zurück Prediger; sein Ururgroßvater ist der von Melanchthon in einem Schreiben an Hardenberg vom 1. Mai 1551 zum Prediger in Stade empfohlene Joachim Neumann[WS 1] aus Wismar; erst sein Großvater Joachim N. († 1651 zu Lochem bei Zütphen) verwandelte den deutschen Namen in den griechischen; unser N. selbst ward von seinen Zeitgenossen auch Neuander und Neiander genannt. Nach dem Tode seines Vaters ward er am 25. Oktober 1666 in das Gymnasium illustre (die Hochschule) seiner Vaterstadt aufgenommen, auf welchem namentlich der Rector und Professor Gerhard Meier für seine gelehrte Ausbildung von Einfluß war. Von entscheidender Bedeutung für ihn war, daß im Juli 1670 Theodor Undereyk (geb. 1635, † 1693) als Pastor zu St. Martini nach Bremen kam. Dieser gewaltige Prediger, der ein Schüler von Coccejus war und sodann von Jean de Labadie beeinflußt nach dem Vorgange desselben Privatversammlungen (Conventikel) in Bremen einführte, wurde Neander’s geistlicher Vater; es ist die Art der neuerdings als „reformirter Pietismus“ bezeichneten Richtung, die fortan der Frömmigkeit Neander’s eignet. Im Jahr 1671 ging er als Informator einiger Kaufmannssöhne aus Frankfurt a. M. nach Heidelberg, wo er auch seine eignen Studien fortsetzte. Von hier begab er sich zwei Jahre später nach Frankfurt a. M.; wir wissen nicht, welche Stellung er hier hatte; doch ist es wahrscheinlich, daß er mit Mitgliedern der französisch reformirten Gemeinde vorzüglich verkehrte. Doch auch mit Spener und Johann Jakob Schütz trat N. in ein näheres Verhältnis, die von Spener im Jahr 1670 in Frankfurt eingeführten collegia pietatis, die auf dem Boden der lutherischen Kirche dasselbe bezweckten, was die u. a. von Labadie und Undereyk veranstalteten Versammlungen innerhalb der reformirten Kirche, werden ihn ohne Frage angezogen haben, während es dahingestellt bleiben muß, ob die Dichtungen von Schütz ihn zu eignen Liedern angeregt haben. N. erhielt in Frankfurt im Frühjahr 1674 eine Berufung als Rector an die lateinische Schule der reformirten Gemeinde in Düsseldorf; am 1. Mai 1674 ward er in dieses Amt eingeführt. Mit dieser Stellung war die Verpflichtung verbunden, den Prediger der Gemeinde in seinem Amte zu unterstützen. N. hat in Düsseldorf vielfach gepredigt und zeichnete sich, als dort im Sommer 1674 die Ruhr herrschte, in der Seelsorge aus. Um diese Zeit etwa fing er nun auch an, [328] private Versammlungen zur Erbauung zu halten, und das scheint den ersten Anlaß dazu gegeben zu haben, daß der Prediger der Gemeinde, Sylvester Lürsen, der wie N. aus Bremen stammte und ihm anfänglich sehr wohl gesinnt war, mit ihm unzufrieden ward. Die Spannung zwischen beiden ward vergrößert, als N. dann auch anfing, sich vom öffentlichen Gottesdienst zurückzuhalten und an der Feier des heiligen Abendmahls nicht mehr theilnahm, um es nicht mit Unwürdigen zusammen genießen zu müssen. Es waren das alles Anzeichen davon, daß N. sich immer entschiedener zu den Ansichten neigte, wie sie in jenen Jahren von Ladenstege, Labadie u. a. vertreten wurden, und daß sein an sich ehrenwerter Eifer für ein das wirkliche Leben durchdringendes Christenthum daran war, ihn zu völligem Separatismus zu führen. Nicht unbedenklich war es, daß er jetzt sich auch als Rector von den bestehenden Ordnungen abzuweichen erlaubte; ohne Vorwissen des Presbyteriums hielt er ein Schulexamen und setzte er Ferien an. Die Folge war, daß er anfangs Februar 1677 von seinem Rectorate entlassen werden sollte, nachdem ihm schon im Herbste vorher die Kanzel verboten war. Doch noch ehe ihm dieser Beschluß des Presbyteriums eingehändigt war, sah er ein, daß er zu weit gegangen war, und beschloß er, sich den Anforderungen desselben zu fügen. Nach einem Beschlusse der reformirten Jülich-Cleve-Bergischen Generalsynode vom Jahre 1674 sollten nur dann Privatversammlungen zu gemeinsamer Erbauung gestattet sein, wenn der Prediger der Gemeinde sie leitete und an ihnen nur Nachbarn und Bekannte in kleinerem Kreise Antheil nähmen. An diesen Beschluß war das Presbyterium in Düsseldorf seinerseits gebunden; und es beweist uns, daß Neander’s Frömmigkeit im Grunde einen tüchtigen Kern hatte und von krankhaften Verzerrungen frei war, daß er nun auch sich ihm unterwarf. Er unterschrieb am 17. Februar 1677 „aufrichtig und ohne Mentalreservation“ acht Punkte, in welchen er sich von den Ansichten, denen er bisher gefolgt war, lossagte und konnte in Folge davon auch sein Amt behalten; „in Ansehung seiner Jugend und verhoffentlichen Corrigibilität oder Besserung“ wurde ihm das gegebene Aergerniß „für diesmal christlich verziehen“, so daß er in Wahrheit nur wenige Tage von seinem Schulamte suspendirt war. Die Sage läßt ihn freilich einen ganzen Sommer brotlos und vertrieben umherirren; er soll diese Zeit in dem nach ihm benannten „Neanderthale“ bei Düsseldorf zugebracht und dort in der sogenannten „Neanderhöhle“ gewohnt und hier seine geistlichen Lieder gedichtet haben. Wahr mag an dieser Erzählung sein, daß Spaziergänge in diesem schönen Thale für einzelne seiner Lieder, namentlich für solche, in denen die Herrlichkeit der Natur gepriesen wird, die Veranlassung wurden; doch läßt sich, soviel wir wissen, im Einzelnen die Entstehungszeit seiner Lieder nicht nachweisen. – Im Mai 1679 ward N. als Hilfsprediger an die Martinikirche in Bremen berufen, an die Kirche, an welcher Undereyk noch als erster Prediger stand und ein Gesinnungsgenosse von diesem, Cornelius de Hase, zweiter Prediger war. Obschon die Stelle ihm eine weit geringere Einnahme als seine Düsseldorfer bot, nahm sie N. doch an, offenbar weil er dort im Verein mit gleichgesinnten Männern eine segensreichere Wirksamkeit zu finden hoffte. Im Juli 1679 trat er sein neues Amt an. Schon nach 10 Monaten ward er von einer heftigen Krankheit befallen, – wir wissen nicht welcher, – die seinem Leben schnell ein Ende machte; er täuschte sich nicht darüber, daß er nicht wieder besser werden werde, und bereitete sich ernstlich auf sein Sterben vor. „Ich will mich lieber zu Tode hoffen, als durch Unglauben verloren gehen“, ist eines seiner letzten Worte. Er starb am Pfingstmontage, den 31. Mai 1680. Verheirathet ist er nicht gewesen. – Von seiner amtlichen Thätigkeit in Bremen ist uns nichts bekannt. Wir wissen nur, daß er in dieser Zeit seine Lieder gesammelt und herausgegeben hat. Sie erschienen Bremen bei Hermann Brauer 1680 (nicht [329] 1679) unter dem Titel: „Α & Ω. Joachimi Neandri Glaub- und Liebes-übung: Auffgemuntert Durch [durch] Einfältige Bundes-Lieder und Danck-Psalmen: u. s. f.“ Es sind 57 oder eigentlich nur 56 Lieder, sofern nämlich zwei in ihrer Art zusammengehören, daß das eine (Strophe 1, 3 und 5) die Bitten der Seele ausspricht, auf welche in dem anderen (dessen Strophen als 2., 4. und 6. bezeichnet sind) die Antwort Jesu enthalten ist; die 41 ersten Lieder und das vorletzte sind mit Melodien versehen, von welchen etwa die Hälfte von N. selbst gesetzt sind.

N. ist nach den Sängern der Reformationszeit (Blaurer, Zwick) der erste hervorragende Dichter geistlicher Lieder in der reformirten Kirche Deutschlands; seine Lieder fanden in der lutherischen Kirche noch früher Verbreitung als in der reformirten, haben dann aber wesentlich dazu beigetragen, daß in den reformirten Gemeinden Deutschlands die Sitte, nur die biblischen Psalmen im Gottesdienste zu singen, verlassen und der Gesang neuerer, frei gedichteter Lieder eingeführt ward. Das bekannteste und verbreitetste seiner Lieder ist das Loblied: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“; andere seiner Lieder sind: „Der Tag ist hin, mein Jesu bei mir bleibe“, „O allerhöchster Menschenhüter“, „Sieh, hier bin ich, Ehrenkönig“, „Wunderbarer König“. Sie wurden dann sehr oft wieder gedruckt. Der zweite Druck erschien im Jahr 1683 in demselben Verlage wie der erste; dann sind zwei Ausgaben, eine Wesel, Duisburg und Frankfurt 1686 bei Luppius, die andere Bremen 1687 in dem alten Verlage erschienene, als „dritter Druck“ bezeichnet. Ein „vierter Druck“ erschien Frankfurt 1689 bei Johann Bauer. Den „fünften Druck“, Frankfurt und Leipzig 1691 bei Andreä, gab der Capellmeister Georg Christoph Strattner mit neu componirten Melodien zu allen Liedern heraus; die Sammlung besteht hier aus 64 Liedern, also, da die beiden zusammengehörigen (unter Nr. 35) als eines gezählt sind, aus acht Liedern mehr als die erste Sammlung; von diesen sind zwei (Nr. 33: „O Jesu, Jesu, meines Lebens Leben“ und Nr. 49: „Unser Leben bald verschwindet“) zwischen die anderen eingeordnet, die übrigen sechs (Nr. 59–64) als Anhang hinzugefügt. Von diesen neuen Liedern sagt Strattner in der Vorrede, sie seien „bei fleißigem Nachsuchen gefunden“ und „von vertrauten Händen communicirt“ worden; daß sie auch von Neander herrühren, wird nicht bezweifelt werden können. Hingegen werden alle übrigen Lieder, die ihm ab und an zugeschrieben werden und sich theilweise in späteren Ausgaben finden, nicht als echt gelten können. Diese vermehrte Frankfurter Ausgabe erschien dann mehrfach wieder; der „siebente“ Druck sogar zweimal, 1700 und 1708; der „achte“ 1712. Im J. 1698 erschien daneben wieder eine kleine Ausgabe in Bremen bei Hermann Brauer, welche die 56 Lieder der ersten Sammlung und außerdem ein bei Strattner nicht vorhandenes („Auf, ihr meine Geister, werd’t dem Fleische Meister“) enthält, über dessen Herkunft nichts mitgetheilt wird. Außer diesen bisher genannten zehn Ausgaben sind bis 1730 noch wenigstens zehn Ausgaben, die wir anführen könnten, wahrscheinlich aber noch bedeutend mehr erschienen, – unter diesen eine Amsterdam 1725 in lateinischen Lettern, – ein deutliches Zeichen davon, welchen Anklang diese Lieder fanden. Daß sie außerdem auch in andere Sammlungen übergingen und recht viele von ihnen sodann auch in Gemeindegesangbüchern Aufnahme fanden, läßt sich hiernach denken; so befinden sich beispielsweise in den beiden Theilen des Freylinghausen’schen Gesangbuches (nach Kirchner) 25 Lieder von N. und in dem Gesangbuch für die reformirte Gemeinde Unterbarmen vom Jahre 1856 (nach Koch) noch 27.

Die früheste Biographie Neander’s befindet sich im 4. Bande der Historie der Wiedergebornen von Joh. Heinr. Reitz, 1. Aufl. 1717; Reitz hatte N. noch persönlich gekannt. – Max Göbel, Gesch. des christl. Lebens u. s. f., II, 1, S. 322 ff. – Vormbaum, Neander’s Leben und Lieder, Elberfeld [330] 1860. – Koch, Gesch. des Kirchenlieds u. s. f., 3. Aufl., VI, S. 16 ff. – Brenning, Joachim Neander, eine historische Skizze, Bremen 1875 (Programm). – Iken, Joachim Neander, sein Leben und seine Lieder, Bremen 1880. – Rambach, Anthologie III, S. 266 ff. – Bode, Quellennachweis, S. 117 f. – Vgl. auch Albrecht Ritschl, Geschichte des Pietismus, S. 383 ff. – Nach der allgemein verbreiteten Annahme, der nur Rambach und Bode nicht folgen, soll die erste Ausgabe der N.’schen Lieder im J. 1679 erschienen sein. Aber soweit uns bekannt, hat Niemand eine Ausgabe von 1679 je gesehen; hingegen befindet sich die von 1680 in Hamburg und in Berlin. Die beiden Exemplare weichen in dem Worte „durch“ auf dem Titelblatt ab; in dem Hamburger Exemplar ist dieses Wort mit großem Anfangsbuchstaben gedruckt, vgl. oben die genaue Angabe des Titels; diese und einige andere Correcturen, von denen im hamburgischen Exemplar die Rede ist, werden während des Druckes vorgenommen sein, wie ähnliches auch sonst vorkommt, und beide werden für Exemplare derselben Ausgabe zu halten sein. Die Ausgabe von 1683 bezeichnet sich selbst als die zweite; sie ist in Bremen vorhanden und hat Brenning und Iken vorgelegen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Nach Krause nicht Neumann, sondern Nigemann/Neander.