ADB:Bruckner, Anton

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Bruckner, Anton“ von Eusebius Mandyczewski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 767–769, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bruckner,_Anton&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:22 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Brahms, Johannes
Nächster>>>
Brüning, Adolf von
Band 47 (1903), S. 767–769 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Anton Bruckner in der Wikipedia
Anton Bruckner in Wikidata
GND-Nummer 118515799
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|767|769|Bruckner, Anton|Eusebius Mandyczewski|ADB:Bruckner, Anton}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118515799}}    

Bruckner *): Anton B., geboren am 4. September 1824 zu Ansfelden (einem kleinen Dorf in der Nähe von Linz) in Oberösterreich; † am 11. October 1896 in Wien. Dieser hervorragende österreichische Tondichter entstammt einer oberösterreichischen Dorfschullehrerfamilie und war ursprünglich für den Beruf seines Vaters und Großvaters bestimmt. Er erhielt auch den ersten Unterricht von seinem Vater. Als dieser starb, kam der zwölfjährige Knabe in das Chorherrnstift St. Florian (Oberösterreich), wo ihn Gruber im Clavier- und Violinspiel, Bogner im Generalbaß unterrichtete. Hier leistete er schon gute Dienste als Sängerknabe und als Organist. Nach vierjährigem Aufenthalt kam er in den Lehrerbildungscurs nach Linz, und wurde 1841 Schulgehülfe in dem kleinen Orte Windhag a. d. Maltsch, 1843 dasselbe in Kronsdorf bei Steyr. Zwei Jahre darauf wurde er als Lehrer nach St. Florian berufen, wo er mehrere Jahre mit einer Besoldung von 36 fl. jährlich diente, bis er 1851 auch die Stelle eines Stiftsorganisten mit 80 fl. jährlich und freier Wohnung erhielt. Von nun an war die große Stiftsorgel, ein gediegenes Werk von Chrismann, eine Quelle tiefen Studiums und immerwährender Anregung für den langsam aus sich selbst heranwachsenden Componisten. In diese Zeit fällt die Composition mehrerer kirchlicher Werke, darunter eines Requiems in D-moll. Um für sein Können eine amtliche Beglaubigung zu haben, kam er 1853 nach Wien und unterzog sich einer Prüfung im Orgelspiel, wonach ihm die damaligen musikalischen Autoritäten Sechter, Aßmayr und Preyer ein glänzendes Zeugniß über seine Kunst ausstellten. 1856 erhielt er die Stelle eines Domorganisten in Linz, nachdem er bei einem Probespiel einstimmig als der fähigste Bewerber erkannt worden. Der Drang nach künstlerischer Vervollkommnung trieb ihn von Linz aus alljährlich zu Ostern und zu Weihnachten zu dem berühmten Theoretiker Sechter nach Wien, von dem er sich im Contrapunkt unterweisen ließ. Auch in dieser Kunst unterzog er sich nach vollendetem Studium einer officiellen Prüfung, indem er 1861 in der Josephstädter Piaristenkirche zu Wien vor Sechter, Hellmesberger, Dessoff, Herbeck und Schulrath Becker ein gegebenes Thema auf der Orgel fugenartig verarbeitete, und mit dieser Leistung die Bewunderung der Fachgenossen erregte. In den Jahren 1861–63 machte er noch Orchesterstudien unter der Leitung des Theatercapellmeister Kitzler in Linz. 1862 und 1863 war er auch Dirigent des Linzer Männergesangvereins „Frohsinn“, wo er die Anregung fand zu den Compositionen für Männerchor, unter denen die größten „Germanenzug“ und „Helgoland“ sind. Die erstere wurde 1865 beim Sängerbundesfest in Linz mit einem Preise gekrönt, und zählt zu den frühesten Compositionen, die weitere Kreise auf ihn aufmerksam gemacht haben. In demselben Jahre erhielt er eine gewaltige und ausschlaggebende [768] Anregung durch eine Reise nach München, wo er Bülow und Richard Wagner kennen lernte und die ersten Aufführungen von „Tristan und Isolde“ hörte. 1868 führte er in Linz einen Chor aus den damals noch unbekannten „Meistersingern“ Richard Wagner’s auf. Doch war seine eigene Compositionsthätigkeit in der Linzer Zeit mehr der Kirche zugewandt, der er als gläubiger Katholik schwärmerisch anhing. Für die Grundsteinlegung des Maria Empfängniß-Doms schrieb er schon 1862 eine Cantate; eine andere für die gleiche Feier des allgemeinen Krankenhauses in Linz 1863. In dem nächsten Jahre vollendete er seine erste Messe (in D); diese wurde 1865 im Dom zu Linz zum ersten Mal aufgeführt und machte so tiefe W1rkung, daß sie nach zwei Jahren in der Augustinerkirche und bald darauf in der Hofcapelle zu Wien durch Herbeck eingeführt wurde. Eine zweite Messe (E-moll), mit Begleitung von Blasinstrumenten, componirte B. für die Einweihung einer Votivcapelle im Linzer Dom 1868; noch in demselben Jahre schrieb er seine dritte Messe (F-moll). Endlich fällt in die Linzer Zeit auch die Composition der ersten Symphonie (C-moll), und B. hatte als Dirigent Gelegenheit, sie seinen Zeit- und Ortsgenossen, soweit es ihre bescheidenen künstlerischen Mittel gestatteten, selbst zum ersten Mal vorzuführen. Im Herbst 1868 wurde B. auf Betreiben Herbeck’s in doppelter Eigenschaft nach Wien berufen: als Lehrer für Harmonielehre, Contrapunkt und Orgelspiel ans Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, und als Organist in die kaiserliche Hofcapelle. Daneben wirkte er seit 1875 als Lector für die Theorie der Musik an der Wiener Universität, und erhielt von dieser 1891 den philosophischen Doctorgrad honoris causa. In die Zeit seines Wiener Aufenthalts fallen seine großen Erfolge als Orgelspieler und die Composition seiner hervorragendsten Werke: für Orchester die Symphonien Nr. 2 bis 9, für Streichinstrumente das Quintett in F, für Chor mit Orchester das Te Deum und der aus Anlaß der Musik- und Theaterausstellung 1892 componirte 150. Psalm. Außerdem schrieb B. theils in Wien, theils in Linz, mehrere kleinere Kirchenstücke (Graduale, Offertorien, Ave Maria, Tantum Ergo, Pange lingua u. dgl.) theils mit, theils ohne Begleitung, eine Anzahl kürzerer weltlicher Gesänge für Männerstimmen, endlich einige Clavierstücke und Märsche.

In seiner engeren Heimath war B. frühzeitig als phantasievoller Orgelspieler bekannt. Aber weit über diese Grenzen ging sein Ruf, seit er (1869) am internationalen Organisten-Wettspiel in der Kathedrale zu Nancy theilgenommen hatte. Von dort reiste er nach Paris und erregte auch hier durch sein Spiel auf der Orgel der Kirche Notre Dame großes Aufsehen. Zwei Jahre später bewunderten ihn die Besucher der internationalen Ausstellung in London, wohin er zur Prüfung der großen Orgel in der Alberthalle gereist war. In dieser Halle gab er acht Concerte; fünf andere im Krystallpalast. Den Antrag, in England zu bleiben, schlug er aus. In Oesterreich hat er an verschiedenen Orten seine Kunst gezeigt, besonders bei festlichen Gelegenheiten; 1870 beim allgemeinen deutschen Lehrertag in Wien (Piaristenkirche), 1873 bei der Wiener Weltausstellung, 1881 bei der Generalversammlung des Lehrervereins in Linz, wo er eine Phantasie über Haydn’s Volkshymne improvisirte, 1885 in St. Florian, 1886 im Stift Klosterneuburg, 1892 in Steyr. Einen besonderen Verehrer seiner Kunst hatte er in Bischof Rudigier in Linz, der ihn oft aus Wien kommen ließ, um sich an seinem Orgelspiel zu erbauen. Bruckner’s Orgelspiel war glänzend und farbenprächtig, weniger im Innern durchgebildet, als äußerlich blendend und hinreißend. An contrapunktischer Vollendung lag ihm weniger, als an harmonischer Entfaltung und [769] würdevoller Massenwirkung. Daher erzielte er den tiefsten Eindruck durchs Improvisiren, wo er seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte.

Diese Freude an Glanz und feierlichem Pomp zeigt B. auch als schaffender Künstler. Ein oberösterreichisches Lehrerkind, später selbst durch viele Jahre Lehrer und Domorganist, endlich kais. Hoforganist, stand er sein ganzes Leben hindurch unter unmittelbarem geistlichen und kirchlichen Einfluß, und ist sein ganzes Wesen specifisch katholisch geworden. Gleich seiner geistigen Nährmutter, der süddeutschen katholischen Kirche, neigt er einerseits zu Mystik und Symbolismus, zu großen und erhabenen poetischen Vorstellungen ohne klare Grundlagen und Umrisse, andererseits zu blendendem Glanz und feierlicher Pracht. Seine Musik ist aus seinem Innersten unmittelbar entsprungen und gibt ein um so treueres Bild seiner Seele, als er, durch Erziehung und Umgebung einmal in eine bestimmte Richtung gedrängt, den großen allgemeinen Bildungsbestrebungen seiner Zeit ziemlich fern und unzugänglich blieb, nur in der Welt seiner üppig blühenden Phantasie lebte, ob er auch täglich mit dem realen Leben in schmerzlichen Widerspruch gerieth. Wie im Leben, kennt er auch in der Kunst nur einen Inhalt, keine Form. Mit gleichem Recht wird seinen Werken Mangel an Maaß und Ziel und allzu lockeres Gefüge vorgeworfen, und die höchste Unmittelbarkeit der Wirkung genialer Gedanken nachgerühmt. Musikalisch ist er am stärksten von Richard Wagner beeinflußt, für dessen blendende, sinnlich so unendlich reizvolle Kunst er das empfänglichste Gemüth besaß. Anfangs mehr ausübender Künstler, hat er erst in reifen Jahren sich mit aller Macht der Seele der Composition ergeben. Lange Zeit ohne Erfolg; bis nach dem Tode Wagner’s und Liszt’s auch seine Werke nach und nach mehr Beachtung fanden, so daß manche künstlerische Befriedigung seinen Lebensabend verschönte.

Die in Wien componirten Werke entstanden in rascher Aufeinanderfolge; in den Jahren 1872 bis 1882: die zweite Symphonie (C-moll), die dritte, Richard Wagner gewidmete Symphonie (D-moll), die vierte Symphonie (Es-dur) die „Romantische“ genannt, die fünfte Symphonie (B-dur), die sechste Symphonie (A-dur), das Streichquintett, dazu die Umarbeitungen der meisten dieser Werke; seit 1882: die dem König Ludwig II. von Baiern gewidmete siebente Symphonie (E-dur), unter allen Symphonien die bekannteste und erfolgreichste, die dem Kaiser Franz Joseph I. von Oesterreich gewidmete achte Symphonie (C-moll), die bis auf den letzten Satz unvollendet gebliebene neunte Symphonie (d-moll), das Te Deum (1884), das nach Bruckner’s letztem Willen als Schlußsatz zur neunten Symphonie verwendet werden mag, der 150. Psalm für Chor und Orchester, und andere.

B. ist seinem Wunsche gemäß in der Kirche des Chorherrenstiftes St. Florian unter der großen Orgel, die er so oft und gern gespielt hat, beigesetzt worden. An seinem Geburtshaus in Ansfelden enthüllte die Linzer Liedertafel „Frohsinn“ 1895 eine Gedenktafel. Aus diesem Anlaß gab der Oberösterreichische Volksbildungsverein die erste Biographie Bruckner’s heraus: „Dr. Anton Bruckner. Ein Lebensbild von Franz Brunner“ (Linz 1895). Ergänzende Mittheilungen und ein fast vollständiges Verzeichniß von Bruckner’s Werken mit allen Compositions- und den wichtigsten Aufführungsdaten brachte der Nachruf von Dr. Heinrich Rietsch in Bettelheim’s „Biographischem Jahrbuch und Deutschem Nekrolog“ 1897. Kurze Zeit darauf wurde im Wiener Stadtpark ein Denkmal Bruckner’s enthüllt (Büste von Tilgner, Sockel von Zerritsch). Eine sehr hübsche, die Gesichtszüge Bruckner’s ungemein treu wiedergebende Plaquette hat Tautenhayn jun. in Wien modellirt.


[767] *) Zu S. 276 oben.