ADB:Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de

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Artikel „Maupertuis, Peter Ludwig Moreau de“ von Reinhold Koser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 691–693, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maupertuis,_Pierre-Louis_Moreau_de&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:10 Uhr UTC)
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Maupertuis: Peter Ludwig Moreau de M., geb. am 28. September 1698 zu St. Malo. Nachdem ihm der Vater, René Moreau de M., Mitglied der ständischen Vertretung der Bretagne, zu St. Malo Privatunterricht hatte ertheilen lassen, widmete sich der junge M. von 1714–1716 zu Paris mathematischen und philosophischen Studien und trat 1718 in die französische Armee ein. Capitän einer Compagnie bei einem in Lille garnisonirenden Dragonerregimente, verkehrte er 1722 während eines Winteraufenthaltes in der Hauptstadt in dem Kreise von Gelehrten und Schöngeistern, der sich im Café Procope zu versammeln pflegte; der ungezwungene Ton des Caféhauses sagte seinem Unabhängigkeitstriebe mehr zu als die conventionelle Geselligkeit der Salons. Auf Veranlassung seiner Pariser Freunde verließ M. die militärische Laufbahn; er wurde Dank seinen litterarischen Verbindungen im December 1723 als Adjunct für Geometrie in die Académie des Sciences aufgenommen, stieg zwei Jahre später zu dem Range der Associés auf und betheiligte sich an den Arbeiten der Akademie mit einer Reihe mathematischer und naturwissenschaftlicher Abhandlungen. Eine Reise nach London machte ihn 1728 mit den Lehren Newton’s bekannt, deren Verkünder er nunmehr in seiner Heimath werden sollte; zuvor verschmähte er es nicht, sich in Basel als Student immatriculiren zu lassen, da nur so sich ihm die Möglichkeit erschloß, unter Jean Bernoulli die Integralrechnung zu erlernen. Nach Paris zurückgekehrt, wurde er 1731 zum Pensionnaire géomètre seiner Akademie ernannt. Als demnächst die Akademie an die Aufgabe der Gradmessung heranging, beantragte M. nach der Entsendung von Godin, Bouguer und de La Condamine nach Peru eine entsprechende Forschungsreise nach Lappland behufs Messung des Polarkreises zu veranlassen, und trat, als die Unterstützung des Marineministers Maurepas für das Unternehmen gewonnen war, an die Spitze der Expedition, die am 2. Mai 1736 den Hafen von Dünkirchen verließ. Am 13. November des folgenden Jahres konnte M. in einer öffentlichen Sitzung der Akademie seinen Reisebericht abstatten, in welchem er die Abplattung der Erde nach den Polen zu als gesichert bezeichnete. Die Zweifel der Gegner verstummten, als die vom Aequator einlaufenden Messungsberichte die Resultate der Polarexpedition bestätigten. M. war für die Pariser Gesellschaft eine Zeit lang der Held des Tages, die Reise nach Tornea hatte ihm europäischen Ruf eingetragen, und Voltaire feierte ihn und seine Gefährten in schwungvollen Versen. Als der junge König von Preußen in den ersten Tagen nach seiner Thronbesteigung seine Rundschreiben an die Fürsten der Wissenschaft erließ, ersuchte er den Mann, welcher der Welt die Gestalt der Erde gezeigt habe, der Berliner Akademie die Form zu geben, die allein er zu geben im Stande sei. Schon 1738 hatte der Kronprinz, durch Voltaire bestimmt, seine Blicke auf M. gerichtet. Am 29. August 1740 fand zu Wesel die erste persönliche Begegnung statt; M. folgte dem Könige nach Berlin und sogar in das schlesische Feldlager. Auf dem Mollwitzer Schlachtfeld in österreichische Gefangenschaft gerathen, wurde er nach Wien geführt, bei Hofe mit Auszeichnung empfangen und alsbald auf freien Fuß gesetzt. Nach kurzem Aufenthalt in [692] Berlin kehrte er vorerst nach Frankreich zurück und nahm 1743 nach dem Tode des Cardinal Fleury dessen Stuhl in der Académie française ein, nachdem er den Verdacht der Freigeisterei diplomatisch von sich abzulenken verstanden hatte. Inzwischen erlitt die Reorganisation der Berliner Akademie keinen weiteren Aufschub; am 23. Januar 1744 wohnte M. der feierlichen Eröffnung bei, aber erst nach dem zweiten schlesischen Kriege erlangte er innerhalb der gelehrten Körperschaft maßgebenden Einfluß: am 1. Februar 1746 erfolgte seine Ernennung zum Präsidenten der Akademie, womit das Regiment der vornehmen Curatoren ein Ende hatte, denn ausdrücklich verfügte der König, daß alles durch den Präsidenten geschehen solle, „wie ein General Herzoge und Prinzen in einer Armee commandirt, ohne daß Jemand Anstoß daran nimmt.“ „Sie sind der Papst unserer Akademie“, schreibt Friedrich ein anderes Mal. Am 10. April 1747 ehrte er den Präsidenten durch den Orden pour le mérite. Uebrigens zählte der einheimische Adel M. zu den Seinen, seit dieser (October 1745) mit Eleonore von Borcke sich vermählt hatte, der Tochter des pommerschen Geschlechtes, das nach dem Volksmund „so alt wie der Teufel“ ist. Mit der Heimath blieb M. durch wiederholte Besuche in Verbindung. Während eines Aufenthaltes in Paris, zu dem im Sommer 1746 der Tod des Vaters die unmittelbare Veranlassung gegeben hatte, soll M. im Gespräch mit dem Marquis d’Argenson, damals Staatssecretär des Auswärtigen, für die Wiedervermählung des Dauphin’s die Prinzessin Amalie von Preußen in Vorschlag gebracht haben, als ginge dieser Gedanke von ihm selbst aus; etwas näheres ist darüber nicht festzustellen gewesen. Mit dem Erscheinen Voltaires am preußischen Hofe im Sommer 1750 beginnen die Reibereien zwischen den beiden ehedem befreundeten Männern, in deren Verlauf M. so kläglich den Kürzeren zog, insofern er in dem Streit mit Samuel König (s. XVI, 522) sich eine arge Blöße gab. In dem „Essai de cosmologie“ hatte M. im Sommer 1750 sein sogenanntes Gesetz der Sparsamkeit vorgetragen, mit welchem er das Princip aller Bewegung entdeckt zu haben glaubte. Mit der Entdeckung nicht einverstanden, kam König im September 1750 nach Berlin, um dem Präsidenten, zu dem er von früher freundschaftliche Beziehungen hatte, seine entgegengesetzte Ansicht mündlich darzulegen. Dieser lehnte eine Discussion ziemlich vornehm ab, und König veröffentlichte nunmehr seine Untersuchung im März 1751 in den Leipziger „Acta Eruditorum“. Die Producirung eines noch ungedruckten Briefes von Leibniz aus dem Jahre 1707 ließ ersehen, daß Maupertuis’ Wahrnehmung bereits von Leibniz gemacht worden war, daß aber Leibniz, scharfsichtiger als M., sich gehütet hatte, an die Wahrnehmung die von jenem gezogenen Consequenzen zu knüpfen. Die Berliner Akademie stellte jetzt an ihr auswärtiges Mitglied König zu zwei Malen das peremptorische Ansinnen, das Original des Leibniz-Briefes herbeizuschaffen, und erklärte endlich in der Sitzung vom 13. April 1752 den Brief für unterschoben. König schickte sein Mitgliedspatent zurück, mit dem Bedauern, auf eine Ehre verzichten zu müssen, die ihm um so werthvoller gewesen sei, als sie ihm ungesucht zu Theil geworden; in einem „Appell an das Publikum“ übergab er in würdiger Haltung seine Sache dem Urtheil der Oeffentlichkeit. Augenblicklich war Voltaire auf dem Platze. Er hatte weder an der Streitfrage ein wissenschaftliches Interesse, noch an König ein persönliches; aber zu der alten Eifersucht auf die dictatorische Stellung des Präsidenten trat jetzt die Entrüstung über den zelotischen Machtspruch der Akademie: unmöglich konnte sein unbezähmbarer Hang zur Satire einen so dankbaren Stoff sich entgehen lassen. Voltaire’s anonyme „Antwort eines Berliner Akademikers an einen Pariser“ (18. September 1752) brandmarkt den Sieur Moreau M. als vor dem Angesicht des gelehrten Europas des Plagiats und des Irrthums überführt und zeiht ihn, seine amtliche Stellung zur Unterdrückung [693] der freien Forschung und zur Verfolgung eines Mannes gemißbraucht zu haben, dessen einziges Verbrechen sei, die Meinung seines Verfolgers nicht zu theilen. Friedrich II., der gegen Maupertuis’ menschliche Schwächen nicht blind war, sein rechthaberisches Wesen und seine „brutale Geradheit“ aus Erfahrung kannte und an seinem sauertöpfischen Gesicht („figure la plus maussade“) eben keinen Gefallen fand, glaubte doch für seine Akademie gegen den über das Ziel hinausschießenden Angriff Voltaire’s eintreten zu müssen und gerieth, indem er gleichfalls das publicistische Incognito annahm, in eine schiefe Stellung. Ein schriftlicher Revers, durch den darauf Voltaire die Einstellung der Polemik gelobte (27. November 1752), verhinderte nicht das Erscheinen der unbarmherzigen „Diatribe du docteur Akakia“: durch diesen Doktor, den Voltaire aus dem historischen Sansmalice, dem Arzt Franz I., zu einem Leibarzt des Papstes macht und der seinem Namen zum Trotz die personificirte Boshaftigkeit ist, wurde eine gerade jetzt erschienene Sammlung von gelehrten Briefen Maupertuis einer schnellen Musterung auf alles Absonderliche, Schrullenhafte, einer komischen Auslegung irgendwie Fähige unterworfen. „Jede Ungereimtheit, die diesem armen M. in dem Ringen erhaben zu sein, das ihm oft beinahe, aber niemals ganz gelang, zufällig entfallen ist, hebt Voltaire auf, manipulirt sie, setzt sie in das Erhaben-Lächerliche, schleudert sie in der Gestalt von brennendem Staub an das Haupt von mon Président“ (Carlyle). Was folgte ist bekannt. Friedrich II. ließ den Akakia durch Henkershand verbrennen, ein unter dieser Regierung noch nicht dagewesenes Schauspiel; eine äußerliche Versöhnung, bei der Voltaire mit seinem Ehrenworte von neuem Stillschweigen gelobte, war von kurzer Dauer, da Voltaire, kaum aus Potsdam fortgereist, von Leipzig aus seine giftigen Angriffe fortsetzte und dadurch weitere Unannehmlichkeiten sich zuzog. M. aber vermochte den Stoß, den sein litterarischer Ruf erhalten, nicht mehr zu verwinden. In der Ausgabe seiner Werke, die er während eines neuen Besuches in der Heimath 1756 zu Lyon veranstalten ließ, wurden die durch den Akakia zu trauriger Berühmtheit gelangten Briefe von 1752 wie alle anderen Spuren des ärgerlichen Handels weislich unterdrückt. M. ist von seiner letzten Urlaubsreise nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Er war im Herbst 1758 in Basel eingetroffen, der Stätte seiner mathematischen Studien, zu einem Besuche bei den Bernoulli; der Tag für die Abfahrt nach Berlin war bestimmt, aber als M. am 17. April 1759 den Reisewagen besteigen wollte, befiel ihn eine Ohnmacht, die Vorbotin des Todes, dem er am 27. Juli 1759 zu Basel erlag. Voltaire’s unversöhnter Haß ließ das de mortuis nil nisi bene sich nicht gesagt sein und mußte von Friedrich II. gemahnt werden, „der kalten Asche“ Frieden zu gönnen.

Vie de Maupertuis par L. Angliviel de la Beaumelle. Paris 1856 (mit Inhaltsangaben für die einzelnen Schriften Maupertuis’ und deren Bibliographie; der Text der im Anhange mitgetheilten Briefe Friedrichs II. weicht von den jetzt im Geh. Staatsarchiv zu Berlin befindlichen und ihrer Veröffentlichung entgegensehenden Originalen erheblich ab). Maupertuisiana, Hamburg 1753. Vollständige Sammlung aller Streitschriften die neulich zwischen M. und König gewechselt worden, Leipzig 1753. (Formey) Souvenirs d’un citoyen, Berlin 1789. Memoiren und Tagebücher von Heinrich de Catt (Publ. a. d. preuß. Staatsarchiven XXII). Politische Correspondenz Friedrichs des Großen Bd. IX, X. Droysen, Gesch. der preuß. Politik V, 3, 259.